Monatsinspiration April – SATYA

Practice what you preach

„Wenn du dich jetzt nicht anziehst, dann musst du eben ohne Klamotten in den Kindergarten“ – ups: hatte ich diesen Satz wirklich ausgesprochen?… Mein mittlerweile 18-jähriger Sohn wollte im zarten Alter von 3 Jahren sich partout nicht anziehen, obwohl (oder gerade weil?…) wir schnell los mussten.

Wer als Elternteil kennt sie nicht: diese „Wenn – dann“ – Sätze? Oftmals sind wir uns über das „dann“ gar nicht so richtig bewusst. Da ich zu dem stehen wollte, was ich gesagt hatte, schnappte ich mir meinen Sohn kurzerhand und nahm ihn so wie er war mit ins Treppenhaus und ging los. Das Ende der Geschichte: Mein Sohn fand es dann doch bessere Idee, angekleidet im Kindergarten zu erscheinen;-)

Solange ich denken kann, war mir Wahrhaftigkeit sehr wichtig. Ich sagte häufig, dass ich eine Art „Wahrhaftigkeits-Motor“ in mir hätte.

Ich bin in einem sehr engen moralischen Kontext aufgewachsen: sehr konservativ-christlich, ohne Freiraum für eigene Meinungen und Ansichten. Das, was in der Bibel steht, stimmt zu 100% – Wort für Wort und ohne Diskussionen. Ich wusste – sobald ich mir eine eigene Meinung bilden konnte – dass das nicht meine eigene, innere Wahrheit ist. Zum Glück habe ich dann – sobald ich in der Lage dazu war- auf meinen „Bauch“, meine Intuition und meine innere Wahrheit gehört und mich losgelöst.

Als ich mich später mehr mit der Yogaphilosophie befasste, entdeckte ich dieses Wort, was genau das beschreibt, was ich immer gefühlt und wohin es mich hingezogen hatte: Satya.

Satya ist das zweite Yama nach Patanjalis Yogasutra. Die Yamas und Niyamas sind die ersten Stufen des Raja-Yoga Weges, der acht Stufen umfasst. Die Yamas sind Verhaltensempfehlungen, speziell in unserem Umgang mit anderen Menschen und die Niyamas Regeln für das Verhalten uns selbst gegenüber.

Satya bedeutet “Wahrhaftigkeit”, “Aufrichtigkeit”. Wahrhaftigkeit ist also das Grundkonzept von Satya, dessen Wurzel in dem Sanskritwort “Sat” (“Wahrheit”) liegt.

Satya – erstmal eine großartige Sache

Das Wahrhaftigkeits- Konzept im Yoga geht über das allseits bekannte, oft gepredigte “Du sollst nicht lügen” hinaus.

Das Thema ist viel komplexer: Es geht nicht darum, sich das gelegentliche Flunkern zu verkneifen. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, eine aufmerksame Bestandsaufnahme einer Situation zu machen. Diese sollte ebenso von einem kleinen „Mind-Scan“ der eigenen Motivation gefolgt sein, aus welchen Beweggründen jetzt gerade die “Wahrheit” gesprochen werden sollte oder man eben doch vielleicht lieber mal den Mund hält. Warum?

So wichtig wie es manchmal ist, die Wahrheit zu sagen, so giftig und geduldig können auch die Worte sein, die wir in die Welt hinaus senden. Eine Lüge ist nicht nur eine unwahre Aussage, sondern kann viele Formen annehmen. Zu Unwahrheit gehört zum Beispiel auch das verbale Kaschieren einer unangenehmen Situation oder eine Übertreibung, um sich selbst ein wenig besser dastehen zu lassen.

Es geht also darum, abzuwägen

In der alten Tradition der Sufis gibt es einen guten Trick: Sie lassen ihre Worte durch vier Tore passieren. An jedem Tor wird eine Frage gestellt:

  • Sind diese Worte wahr?
  • Sind diese Worte notwendig?
  • Ist dies der richtige Zeitpunkt, diese Worte zu sagen?
  • Können diese Worte in einer positiven und freundlichen Art gesagt werden

Lautet die Antwort an einem der Tore “Nein”, so sollten die Worte ungesagt bleiben. Eine gute Übung, wie ich finde.

Ehrlichkeit bedeutet also nicht, ungefiltert Kritik an anderen zu üben

So wichtig, wie es ist, ehrlich zu sein, so aufrichtig sollten auch die Beweggründe sein damit unsere Worte nicht aufhören, Sinn zu machen. Damit wir die sogenannte Aufrichtigkeit nicht als Mittel einsetzen, um andere zu kränken oder ein Argument anzubringen. Wie oft hast du schon impulsive “Ehrlichkeit” in einer Auseinandersetzung geübt? Wie oft war das Ziel hiervon, vielleicht von der Kritik an dir abzulenken oder ein gutes Argument zu haben?

Die Idee von Satya ist Aufrichtigkeit mit Zurückhaltung und Bedacht. Ehrlichkeit bedeutet nicht, jeden kleinen Gedanken in die Welt hinauszuschicken, ohne ihn bedacht zu haben. Ehrlichkeit bedeutet, die tiefsten und ehrlichsten Gedanken mit liebevoller Güte auszusprechen, wenn die richtige Zeit gekommen ist.

Christina Waschkies schreibt: „Eine bewusste Wahrheit zu leben, bedeutet ein hohes Maß an Selbstbeobachtung, Aufmerksamkeit für die derzeitigen Umstände und ein liebevoller Umgang mit den Mitmenschen.“

Sharon Gannon sagt dazu: „Wahrhaftigkeit beginnt da, wo wir anfangen, uns selbst zu überprüfen: Meinen wir, was wir sagen und sagen wir was wir meinen?“

Und in Konsequenz: Tun wir das, was wir sagen? Bezeichnen wir uns beispielsweise selbst als absolut friedliche Personen, aber verdrängen z.B., dass für unseren Konsum Menschen und Tiere ausgebeutet werden?

Practice what you preach.

Nicht immer kannst du dich selbst 100% an deine eigenen Standards und Vorsätze halten (zum Beispiel, ausschließlich vegan zu leben). Das ist menschlich. Wenn du anderen aber vorspielst, dass du in der Hinsicht perfekt bist, ist das unehrlich.

Weitere Ideen zum Üben von Wahrhaftigkeit:

  • Hör auf, Notlügen zu benutzen. Kommuniziere aus deiner Perspektive, ohne andere zu beschuldigen und sage, wie du dich fühlst. Wenn du beispielsweise keine Kraft oder Energie für deine Verabredung hast, sag das doch einfach, statt Kopfschmerzen oder einen Notfall in der Familie vorzutäuschen
  • Sag nichts zu, was du nicht einhalten kannst. Oft wollen wir Erwartungen erfüllen, die uns eigentlich überfordern – und scheitern dann. Daraus resultiert sowieso nur, dass wir in den Augen anderer unzuverlässig und unglaubwürdig werden
  • Enthalte anderen keine Informationen vor, die ihnen helfen würden; aber verteile auch keine ungefragten Ratschläge aus dem eigenen Wunsch, überlegen zu sein, die Macht zu haben oder recht zu behalten
  • Small Talk finden wir fast alle langweilig und unangenehm. Anstatt nur vorprogrammierte Floskeln auszutauschen, antworte doch auf das Übliche Na, wie geht’s? mal nicht mit Super! sondern mit Ach, ich habe schlecht geschlafen, aber sonst kann ich nicht klagen. oder Ich habe gestern meinen Bruder endlich mal wieder gesehen, das war sehr schön. Das ist doch so viel ehrlicher und persönlicher, oder?
  • In der Asanapraxis: Probierst du manche Asanas einfach gar nicht aus, weil du denkst, du kannst sie nicht? Auch eine kleine Selbstlüge! Übertriebene Bescheidenheit und Zurückhaltung sind ebenso unehrlich wie ein zu großes, aufgeblasenes Ego.

 

Yogische Legenden besagen, dass die Person, die fest in ihrer Wahrhaftigkeit verankert ist, Superkräfte bekommt und sogar die Erde zum Stillstand bringen kann – als ob die eigene Willenskraft die Realität formt. Das ist natürlich allegorisch gemeint. Aber ich finde, es ist trotzdem eine schöne Vorstellung. 

Heutiges Mantra: Möge meine Wahrheit liebevoll in ihren Worten und ihrer Intention sein.

Love and Happy Day!

Katharina

 

Du möchtest laufend über unsere Aktionen und Neuigkeiten informiert oder die monatliche Inspiration erhalten?

Dann abonniere ganz einfach unseren regelmäßig erscheinenden Yogaschule Flensburg Newsletter: